Hallo.
Michael - das ist eine sehr gute Frage, die Du da aufwirfst.
Die Wahlprogramme der politischen Parteien haben nur scheinbar nur wenig bzw. in begrenztem Umfang etwas damit zu tun, was am Ende im Parlament wirklich herauskommt. Das hängt nun mit mehreren Dingen zu tun:
a) 'Altlasten' aus den Vorgängerregierungen - vor allem Gesetze und Verträge, die Kurswechsel in bestimmten Dingen einfach ausschließen, sodass es egal ist, was in irgendwelchen Programmen drin steht;
b) die Regierungsverantwortung und Mehrheit im Parlament entsteht in aller Regel nicht durch bloß 1 Partei, sondern durch mindestens 2 Parteien - wessen Programm soll denn dann umgesetzt werden? Genau, geht nicht. Deshalb nennt man dortige Arbeitsergebnisse auch Kompromisse, die naturgemäß von Parteiprogrammen abweichen können;
c) zahlreiche Dinge, die im Bundestag beschlossen werden, müssen dann noch durch den Bundesrat, der als Kontrollinstanz und zur Wahrung der Länderinteressen natürlich die Beschlüsse und Entscheidungen des Bundestages gegebenenfalls zur Nachbesserung schickt;
d) last but not least gilt für jede/n Abgeordnete/n im Bundestag die Unabhängigkeit des Mandats - zumindest in der Theorie. Dass die Jungs und Mädels ihre Parteiverbundenheit gelegentlich schon recht stark ausleben - geschenkt; aber wenn man sich auch mal vor Augen führt, dass es genug Nasen gibt, die pausenlos als Querdenker oder Querulanten (Schäffler und Bosbach fallen mir da mal spontan ein) auftreten, dann gibt es diese Unabhängigkeit des Mandats in der Tat. Und was kümmert es einen Parteisoldaten in vorderster Front, was die Basis im Parteiprogramm irgendwo im unverbindlichen Nirvana des Parteienalltags beschlossen hat? Richtig - gar nichts.
Gut - soviel dazu. Jetzt muss man aber auch mal die "Geschichte" bemühen und dabei noch nicht mal weit zurück in die Vergangenheit gehen: Hätte es diese durchzugsstarke Öko-Politik in Deutschland in vergleichbarer Weise gegeben, wenn CDU/FDP unter Kohl nicht Ende der 90iger abgewählt worden wären - also wären solche Sachen wie die Ökosteuer oder der massive Ausbau von erneuerbaren Energien mit entsprechenden Subventionskampagnen überhaupt entstanden? Oder die Agenda 2010, die in der Verantwortung der SPD lag und nach wir vor liegt, in deren Fahrwasser die Arbeitslosigkeit unter anderem durch einen massiven Ausbau der Arbeitnehmerüberlassung (modernes Sklaventum) als gesellschaftsverträglich und wirtschaftsethisch vertretbar etabliert wurde? Und wie ist es mit der Krankenpflichtversicherung, die ebenfalls ein Kind der SPD/ Grünen ist? Und wie ist es mit jeder familienpolitischen Entscheidung der Parlamente - egal nach welcher Vorstellung welcher Partei? Alles Dinge, die sich - wenigstens verklausuliert - in den damaligen Parteiprogrammen wiederfinden. Insofern gibt es sie - also die parteiprogrammatische Umsetzung in der Realpolitik der Parlamente. Und zwar im Kleinen wie Großen.
Und genau deshalb ist es richtig und bedeutsam, sich tatsächlich inhaltlich mit den Programmen der politischen Parteien auseinander zu setzen. Du als Wähler weißt dann, mit welchen Vorstellungen die Fraktionen in die Koalitionsgespräche gehen werden; und Du kannst Dir sicher sein, dass diese Programme sich auch direkt oder indirekt auf kleine wie große Entscheidungen der Parlamente auswirken können - aber nicht zwingend müssen. Und wie Du siehst ist das alles noch nicht mal graue Theorie.
Blöd ist halt nur: Die wenigsten, die ich kenne, befassen sich mit den Parteiprogrammen; und deshalb ist im Grunde jede Wahl in letzter Konsequenz zu einem nicht unerheblichen Anteil irgendwie wie eine Lotterie. Und indem sich SPD und CDU oder CDU und SPD immer weiter annähern, muss man auch schon mal die Frage aufwerfen, ob es dann noch Sinn macht, die Programme beider Parteien oder doch nur einer von beiden durchzulesen, um zu wissen, was Phase ist. Aber Parteibashing will ich hier nicht zum Thema machen.
Ist Deine Frage damit beantwortet?
Oben bleiben!
Carlos