Bordesholmer (Bermuda-) Dreieck

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    Ich war jung und ich brauchte das Geld, lebte in Kiel,
    während meine Freundin in Hamburg weilte und wohnte. Mittwochs und am Wochenende fuhr ich zu ihr
    und hatte hierzu 2 Möglichkeiten: Entweder mit meinem VW 1600 TL von Baujahr 70
    mit 54 PS und Automatik, damals schon über 25 Jahre alt oder mit meiner Vespa 200 Cosa mit immerhin 12 PS. Gut, der Wagen überzeugte durch nicht vor der
    Hand zu weisende Vorteile wie Heizung, Dach etc. Aber er hatte einen entscheidenden Nachteil:
    er zog sich auch bei entspannter Fahrweise gerne mal 10 Liter durch die Doppelvergaser,
    ohne wirklich schneller als die rote Italienerin zu laufen, die sich im
    Windschatten rumänischer Schweinetransporter mit 3,5 Litern begnügte. Und so war sie es,
    die meist das Los zog.





    Wie auch an jenem Dezember-Freitag, an dem ich bei ca.3 Grad und Regen gegen Mittag zur Expedition
    Hamburg aufbrach. Hinter dem Windschild versteckt, ging es bis Neumünster gut
    voran. Dort jedenfalls wechselte der Regen seine Konsistenz in Koks, äh
    Schneeform, und geduldig harrte ich auf der Raststätte aus, bis der Schneeflug zumindest
    die rechte Spur passierbar machte. Lustiger Weise war der Spuk 20 Kilometer
    später vorbei. Dafür spukte es in meinen Instrumenten. Der Drehzahlmesser
    machte bei konstanter Drehzahl lustige Pendelbewegungen. Ich fand es unterhaltsam,
    da ich den zum Fahren nicht wirklich brauchte. Ich hätte das Zeichen sehen
    sollen, aber der Regen trübte meinen Blick.





    Am Wochenende herrschte klares, sonniges und frostiges
    Winterwetter. Wir sahen noch einen Tatort zusammen am Sonntagabend, bevor ich
    mich auf den Heimweg machen wollte. Der Winter war, wie ein Winter halt so war.
    Vor allem dunkel. Wir hatten die Vorhänge zugezogen und so erschrak ich , als
    ich vor die Tür trat: 20cm Neuschnee und vor mir 90km Heimweg. Nachdem die
    Sitzbank vom Schnee befreit war, schlidderte ich in Richtung Autobahn, die zum
    Glück gut geräumt und gepökelt war. Trotz Windschild, dreier Hosen und dicker
    Handschuhe war es bitterkalt und auf der Raststätte bei Neumünster musste ich
    mich im Restaurant aufwärmen. Draußen herrschten -10 Grad.





    Immerhin sprang die Vespa klaglos an um nach etwa 5 weiteren
    Kilometern für ein wenig Abwechslung auf dieser langweiligen Fahrt zu sorgen. Die
    Beleuchtung fiel aus, einfach so.





    Super, also auf die Standspur und weiter. Einige Autofahrer
    hupten mir aufmunternd zu, ich konnte allerdings nicht zurückhupen, weil…na ja,
    wie das Licht hatte sich auch die Hupe verabschiedet. Mir egal, in einer halben
    Stunde wäre ich zu Hause, endlich im warmen mit der Chance, meine Finger wieder aufzutauen. Am besten in der Mikrowelle.
    Großartig fühlen tat ich mit Ihnen nichts, jedwede Gefühle wurden durch Schmerz
    überlagert, dem Schmerz abfrierender Fingerkuppen. Dann kam das Schild „
    Bordesholmer Dreieck“ in Sicht, dem ich seit dieser Nacht eine besondere Aufmerksamkeit zukommen lasse…





    Denn direkt vor dem Schild war Ende Gelände, Motor aus,
    Feierabend….Klar, der elektrische Benzinhahn wollte den anderen Kollegen im
    Streik zur Seite stehen. Freunde fürs Leben , sozusagen. Ich rollte mit der
    lichtlosen Blechliesel aus. Klar, ich hätte den ADAC rufen können, aber ein
    Handy besaß ich damals nicht. Die nächste Notrufsäule suchen? Okay. Aber den Roller
    alleine lassen? Mitten in der Nacht. War irgendwie keine Option.





    Dann hielt ein Autofahrer, der sogar ein Handy besaß und
    rief für mich den ADAC. Was gut war. Und auch wieder nicht…. Wartezeit 2
    Stunden, Unfall bei Owschlag.





    Es wurden die längsten 2 Stunden meines jungen Lebens.



    Zitternd, mit abgestorbenen Fingerkuppen, übte ich mich im Schattenboxen,
    Seilspringen ohne Seil, lief ein Stück
    an der Autobahn entlang und wieder zurück, bis unendlich später der Abschlepp-Wagen
    nahte und die Vespa auf und mich einlud. Im Führerhaus lief die Heizung, für
    mich mit gefühlten 80 Grad. Es kribbelte und schmerzte, als das Blut langsam
    wieder in die äußeren Körperteile zurückkehrte….







    Ein Tag später…..





    Ich erzählte einem Nachbarn und Vespa-Schrauber die Story.



    Er:“ Und wieso hast Du nicht einfach den Benzinhahn wieder
    aufgemacht?“



    Ich: „Äh, der ist elektrisch??!!“



    Er: „ Schraubenzieher, Schraube reindrehen, dann läuft die Suppe
    wieder…“





    Der Roller hatte Glück. Ich habe ihm nicht im Teich hinter
    dem Haus ein nasses Grab geschenkt. Nicht, weil er defekt war, kam bei einer
    Vespa halt mal vor, sondern weil ich mich
    ärgerte, das mit dem Benzinhahn nicht gewusst zu haben. Ich wäre nach Hause
    gekommen. Ohne Licht, aber auch ohne Erfrierungen.





    Noch heute bin ich jedes Mal froh, wenn ich das Schild „Bordesholmer
    Dreieck“ bei widrigen
    Wetterverhältnissen passiert habe, ohne dass der Motor ruckelt…





    Gruß



    Thomas

    Nach 5 Enten nun (fast) nur noch mit Kleinfahrzeugen unterwegs:

    Honda SH 300i und Royal Enfield Meteor 350.

    Ende Juni 2023 kam nun noch eine NC 750S DCT dazu, die nahezu perfekte Mischung aus Roller und Motorrad....

    Die Enten haben auf ewig einen Ehrenplatz in meinem "Schrein der guten Erinnerungen'".

    oio